Thema Monatsgruß 02/03 2020

Konzentriert Euch!

 

„Profil und Konzentration“ (abgekürzt PuK) heißt der Reformprozess in der evangelischen Kirche in Bayern. Noch konzentrierter will man sich aufstellen, um in Zeiten abnehmender Mitgliederzahlen und sinkender Einnahmen als Glaubensgemeinschaft erkennbar zu bleiben und in der Gesellschaft weiterhin eine Rolle zu spielen. Tilmann Kleinjung ist Journalist und evangelischer Theologe. Beim Bayerischen Rundfunk berichtet er über Themen rund um Religion und Kirche. Sein Blick ist der eines Journalisten von außen in eine innere Debatte hinein. Wenn jetzt von „Profil und Konzentration“ die Rede ist, dann freut ihn das. 

 

Was heißt Konzentration?

Tilmann Kleinjung: Konzentration heißt für mich: Wir brauchen mehr Professionalisierung in unserer Kirche, in unseren Gemeinden: einen richtig guten Gemeindebrief, liebevolle Gottesdienste, jede Gemeinde braucht eine richtig gute Internetseite. Also nicht von allem so ein bisschen was, sondern die Angebote, die wir machen, richtig gut machen. Manche Gemeinden machen das schon. Sie reduzieren beispielsweise in der Diaspora die Zahl der Gottesdienste, bieten einen Fahrdienst an und bringen alle in den richtig großen Hauptgottesdienst. 

 

Was bedeutet es, das Evangelium heute zu verkündigen? 

Von Zeit zu Zeit kann eine Kirchengemeinde nachschauen: Wo werden wir diesem Auftrag nicht gerecht? Was nervt und was macht wirklich Freude? Es gibt doch in jeder Gemeinde noch Gruppen, die vor langer Zeit entstanden sind, in die fast niemand mehr geht und die nur noch Arbeit machen. Da braucht es mutige Haupt- und Ehrenamtliche, die dann auch mal sagen: Schluss. Ein Kirchenvorstand kann mal auf die Zahlen vom Einwohnermeldeamt schauen: Gibt es gerade einen Geburtenboom? Dann lasst uns verstärkt Arbeit mit jungen Familien machen oder was eben in dem Viertel oder dem Ort dran ist. Da bietet PuK auch auf Dekanatsebene einen schönen Konzentrationsprozess. Also sich bewusst für etwas entscheiden und auch bewusst dafür, etwas wegzulassen. 

 

Was kann man weglassen?

Ich möchte nicht in die Diskussion von Qualität und Quantität kommen, nach dem Motto: Wir machen nur das, was viele anzieht. Denn wir haben auch den Satz: Wo zwei oder drei zusammenkommen … Aber ein Chor ganz ohne Tenöre funktioniert halt nicht. Oder nehmen wir das Thema Erwachsenenbildung. Wenn zu einem Vortragsabend immer nur dieselben zwei oder drei kommen, dann darf sich eine Gemeinde fragen, ob es nicht längst andere Anbieter gibt, die das besser machen.

 

Was macht Kirche glaubwürdig?

Ich bin getaufter Christ, aber ich bin auch Kirchensteuerzahler, deshalb sehe ich meine Mitgliedschaft zunächst mal funktional: Jedes Mitglied kann erwarten, dass es in Krisenzeiten oder Hoch-Zeiten gut begleitet wird, auch wenn man das letzte Mal bei der Taufe seines Kindes in der Kirche war. Ich kann auch erwarten, dass sich die
Kirche um Kinder und Jugendliche gut kümmert, z.B. Schulungen in Missbrauchsprävention für ihre Mitarbeitenden anbietet, dadurch wird sie glaubwürdig. Kirche ist nicht nur, aber auch ein Unternehmen, ein Dienstleister. Für ihre Mitglieder ist also eine funktionierende Kirche eine gute Kirche.

 

Kirche ist kein Selbstzweck – woran merkt man das?

Ich würde sagen, vor allem am Personal. Es ist doch gut evangelisch zu sagen, die Kirche ist zunächst mal eine Funktionsgemeinschaft: Wir schließen uns zusammen, um unseren Glauben gemäß unserem Bekenntnis und unserer Tradition zu leben. Wir überhöhen unsere Kirche nicht. Das finde ich sehr sympathisch. Wir überhöhen auch unsere Amtsträger nicht: Bischöfinnen und Bischöfe, Pfarrerinnen und Pfarrer sind nüchtern gesprochen Funktionsträger. Aber in der öffentlichen Wahrnehmung und der Erwartungshaltung der Mitglieder sind sie natürlich mehr als das: Sie personifizieren wie keine andere Berufsgruppe unsere Kirche, auch wenn wir theologisch vom „Priestertum aller Getauften“ sprechen. Das hat Konsequenzen für diesen Beruf, der eben auch eine Berufung voraussetzt. Pfarrer oder Pfarrerin ist kein Beruf für ein Schneckenhaus, sie verkörpern Kirche. Und das setzt eine größere Leidenschaft und Leidensbereitschaft voraus, als man sie von einem ganz normalen Arbeitnehmer erwarten darf.

 

Wie kann die Kirche das Vertrauen der Menschen wiedergewinnen?

Muss man überhaupt Vertrauen zurückgewinnen? Ich weiß nicht, ob es einen großen Vertrauensverlust gibt. Es gibt eine allgemeine Entfremdung von der Kirche, die nur wenig mit einem Vertrauensverlust zu tun hat. Die Leute brauchen die Kirche nicht mehr, sie spielt in ihrem Leben keine Rolle. Eine EKD-Prognose besagt, dass beide Konfessionen bis 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren. Das liegt an der Altersentwicklung in unserer Gesellschaft, aber auch daran, dass viele Menschen offenbar keinen Bedarf an Kirche haben. Offensichtlich wird das bei jungen Erwachsenen, die zum ersten Mal auf ihrem Gehaltszettel sehen, wie hoch die Kirchensteuer ist, und sofort fragen: Was bringt mir das? Und allzu oft lautet die Antwort: Nichts. Diese jungen Erwachsenen werden wohl kaum ihre Kinder taufen lassen. Für die Kirche geht es also – salopp ausgedrückt – um Kundenbindung. Wo und wie kann man sich für junge Erwachsene wichtig, unentbehrlich machen? Es kann ja nicht sein, dass diese Menschen völlig sinnfrei durchs Leben gehen. Was hat Kirche ihnen zu bieten? Was erwarten sie von einem Sinnanbieter? Das alles schafft eine Gemeinde nicht alleine, da braucht es richtig professionelle Unterstützung. 

 

Das Interview mit Tilmann Kleinjung führte Petra Harring

 

 

Themen, auf die sich das Dekanat Kempten konzentriert:

  • Jugendliche
  • Taufprojekte
  • Urlauber und Tourismus