Thema Monatsgruß 10/11 2019

Was für ein Vertrauen

 

Unter diesem Motto stand der Deutsche Evangelische Kirchentag in Dortmund, bei dem Mitte Juni dieses Jahres über 130.000 Menschen zusammenkamen. Bei dieser Überschrift stellte sich rasch die Frage: Was ist Vertrauens überhaupt? Nur ein großes Wort, von dem alle sprechen, aber unter dem jeder etwas anderes versteht? Oder ist es mehr? 

Was Vertrauen ist, erzählt am besten eine kleine Geschichte: Zwei Männer stehen an der Gartenmauer und unterhalten sich. Der eine klagt dem anderen, dass es in der Welt kein Vertrauen mehr gibt. Jede und jeder misstraut dem anderen. Da kommen zwei Buben vorbei. Der eine Mann sagt zu diesen: „Kommt mal her!“ Er nimmt einen der beiden, stellt ihn auf die Mauer, tritt einen großen Schritt zurück, breitet die Arme aus und sagt: „Spring, ich fange dich auf!“ Ohne zu zögern springt der Junge, und der Mann fängt ihn auf. Dasselbe macht er mit dem zweiten Buben. Auch ihn stellt er auf die Mauer und fordert ihn auf zu springen. Aber der Junge ist sich unsicher. Er bleibt stehen und klettert schließlich von der Mauer herunter. „Warum springt der eine und der andere nicht?“, fragt der Mann, der das Vertrauen vermisst. „Ganz einfach: Der eine ist mein Sohn und vertraut mir, sein Freund kennt mich nicht so gut. Er hat mir nicht vertraut!“

Vertrauen ist also ein wichtiger Teil der Beziehung zwischen den Menschen. Einer kann dem anderen vertrauen, wenn er das Gefühl hat, sicher zu sein. Der Junge springt von der Mauer, weil er weiß, sein Vater wird ihn niemals fallen lassen. Solches Vertrauen brauchen Menschen für ihr Leben.

Doch die letzten Jahre haben eine tiefe Vertrauenskrise herauf-beschworen. Manches, das vertrauensvoll gegolten hat, hat tiefe Risse bekommen. Misstrauen scheint sich wie ein Spaltpilz breitzumachen. Autokonzerne werben zum Beispiel mit sauberen Abgaswerten und belügen damit die Behörden und ihre Kunden. Ein Präsident setzt nicht auf Vertrauen, sondern biegt sich die Wahrheit so zurecht, dass jahrzehntelange Freundschaften zu zerbrechen drohen. Immer mehr Menschen fragen sich: Welcher Nachricht im Internet kann ich noch trauen? Und nehmen mich die Politiker und Politikerinnen noch ernst? Viele Brücken des Vertrauens sind ins Schwanken geraten oder gar eingestürzt. Der Ton ist rauer geworden. Verlässliches wird in Frage gestellt. Verträge werden gebrochen.

Dabei ist unser Leben auf Vertrauen aufgebaut. Vertrauen prägt unseren Alltag. Eltern schicken vertrauensvoll ihr Kind in den Kindergarten oder in die Schule, dass sie dort wohlbehalten aufwachsen. Bei einem Unfall darf ein Verletzter darf vertrauen, dass eine Notärztin ihm hilft. Ein Flüchtling darf darauf vertrauen, dass unsere Polizei anders ist als die in seinem Heimatland und ihn gerecht und fair behandelt.

Unsere Gemeinschaft lebt vom Vertrauen. Es bezeichnet das Gefühl und die Erfahrung von der Wahrheit und Redlichkeit von Menschen und ihren Handlungen. Solche Erfahrungen sind grundlegend für ein gesamtes Leben. Ein neugeborenes Baby erfährt die Zuwendung der Eltern auf vielfache Weise. Unbewusst erleben sie: „Ich werde geliebt!“ Eine Jugendliche scheitert in der Schule an einem Fach; trotzdem stehen die Eltern hinter ihr. Der junge Mensch merkt: „Ich kann scheitern und sie sind trotzdem bei mir!“ Ein Kranker erfährt die Hand des Partners am Krankenbett als eine Brücke, die viele Lasten aushält. Der Kranke spürt: „Ich bin in meiner Not nicht allein!“ Vertrauen kann (fast) alles zum Guten wenden.

Das Wort Vertrauen kommt aus der großen Wortfamilie um „treu, fest, gewiss“. Und die Bibel gibt uns noch einen guten Hinweis, was zum Vertrauen unbedingt dazu gehört. Dort ist Vertrauen ganz nahe mit dem Glauben verwandt. Fast wie Zwillinge gehören die beiden Worte zueinander. Ohne den Glauben an einen anderen Menschen kann ich ihm nicht vertrauen. Das gilt auch in der Beziehung zu Gott: Abraham, einer der Urväter des Glaubens, zieht mit Gottvertrauen aus seiner Heimat in ein unbekanntes Land. Wie der Junge vertrauensvoll in die Arme des Vaters springt, so verlässt Abraham, ganz und gar auf die Zusage Gottes vertrauend, seine Heimat (1. Mose 12). Abraham ist damit auch ein Urvater des Vertrauens und des Glaubens. Mit großen Gottvertrauen springt er wie der Junge in die Arme Gottes. So wie das Motto des Dortmunder Kirchentages sagte: Was für ein Vertrauen.

Pfarrer Eberhard Heuß